Ian McEwan: "Maschinen wie ich"

Liebesgedichte eines Androiden

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"Maschinen wie ich" von Ian McEwan
In Ian McEwans Science-Fiction-Roman haben John Lennon, John F. Kennedy und KI-Pionier Alan Turing überlebt. © Diogenes Verlag/Unsplash/Markus Spiske
Von Hans von Trotha · 28.05.2019
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Charlie, Miranda und Adam leben zusammen in London. Adam ist allerdings ein Android. Ian McEwan hat mit "Maschinen wie ich" eine Menage à trois zusammengebracht, mit der die aktuellen Fragen zur Künstlichen Intelligenz verhandelt werden.
London 1982. Aber was heißt das schon. "Die Gegenwart ist ein unwahrscheinliches, unendlich fragiles Konstrukt", sinniert der Erzähler in Ian McEwans neuem Roman. "Es hätte anders kommen können", meint er. "Wie leicht, eine Welt heraufzubeschwören, in der mein Zehennagel nicht eingewachsen war" oder "eine Welt, in der Shakespeare als Kind gestorben war". Dann allerdings würde die Geliebte von Ian McEwans Erzähler Charlie kaum Miranda heißen wie die Tochter des Zauberers Prospero in Shakespeares "Der Sturm".
Der britische Bestseller-Autor Ian McEwan
Der britische Bestseller-Autor Ian McEwan.© picture alliance/AP/Invision
Am Anfang sind die beiden nur Nachbarn. Doch es läuft unerwartet gut für Charlie. Aber da ist Adam schon bei ihm eingezogen, wenn man das so nennen möchte. Und so wird die große Liebe, von der dieser Roman neben vielen anderen Themen erzählt, zur Menage à trois. Seit "Jules et Jim" wissen Leserinnen und Kinogänger, dass das kein Widerspruch sein muss.

Mittendrin in der Debatte um Künstliche Intelligenz

Allerdings ist Adam, der Dritte im Bund, kein Mensch – oder zumindest nicht wirklich. Man sollte sich in dieser Frage kein endgültiges Urteil erlauben, bevor man das Buch zuende gelesen hat. Adam ist ein Android.
Charlie hat sein Erbe auf den Kopf gehauen, um ihn sich leisten zu können. Die Deaktivierungsfunktion ist schnell keine Option mehr. Schließlich lebt Adam. Oder etwa nicht? Er liebt sogar, das behauptet er zumindest. Er schreibt Haikus. Und er hat seine Moralstandards.
Das vor allem setzt eine Kettenreaktion in Gang. Und wir sind mittendrin in einer der großen Fragen unserer Zeit: der Debatte um Künstliche Intelligenz. Nicht minder tief stecken wir unversehens in einer Vielzahl anderer Diskurse, sehen uns mit den ganz großen Menschheitsfragen konfrontiert: Schuld und Sühne, Wahrheit und Lüge im moralischen wie außermoralischen Sinne, Recht und Moral, Leben und Tod, Liebe und Verantwortung...

Roboter mit Hang zur Melancholie

In McEwans kontrafaktischem Puzzle des Jahres 1982 hat England den Falkland-Krieg verloren, der englische Premier fällt einem IRA-Attentat zum Opfer, dafür haben John Lennon und John F. Kennedy ebenso überlebt wie der KI-Pionier Alan Turing, der sich zwar nicht für seinen Bewunderer Charlie interessiert, wohl aber für dessen künstlichen Kumpanen und seine mehr oder weniger baugleichen Brüder und Schwestern, die alle einen Hang zur Melancholie entwickeln, mit womöglich zerstörerischem Potential.
Schwarzweißporträt von Alan Turing mit nostalgischer Anmutung
Der Computerpionier Alan Turing© imago images / ZUMA Press
Die Versuchsanordnung im Dreieck Mann–Frau–Maschine nutzt Ian McEwan einerseits wirklich meisterhaft, um ein Vexierbild ineinander verschränkter Spiegelungen von Geschichten, Positionen und Gefühlen zu entwerfen: Variationen auf die zeitlosen Themen der Welt und damit der Literatur.
Andererseits flicht er wie ein Historiker oder Berichterstatter fast referatartig die historische Lage (Fiktion und Wirklichkeit bunt gemischt), aber auch theorie-, technik-, sozial- und philosophiehistorische Positionen und ihre Hintergründe ein, was bisweilen fast ein bisschen ratlos wirkt, als wolle er uns erzählend auch ein Bild davon vermitteln, wie schwierig es ist, wie viel es zu bedenken und zu programmieren gibt, will man eine Welt erschaffen – oder gar einen Menschen.

Ian McEwan: "Maschinen wie ich"
Aus dem Englischen von Bernhard Robben
Diogenes Verlag, Zürich 2019
416 Seiten, 25 Euro

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